Haßfurt. Was ist wichtig im Leben? Jedenfalls nicht nur „Fußball“, „Kämpfen“ oder „Kraft“, wie es aus Maik Bäuerlein förmlich heraussprudelte. Für seine „Schauspielkollegen“ haben „Freunde“, „Liebe“ oder „Lachen“ einen noch höheren Stellenwert. Das allerwichtigste aber, da waren sich am Ende alle einig, ist „Freundschaft“. Schließlich tue es gut, ein Freund zu sein, „denn Freunde sind niemals allein“, wie die Nachwuchsschauspieler der Lebenshilfe Haßberge e. V. bei ihrem inklusiven Musical mit den begeisterten Zuschauern, darunter die paralympische Goldmedaillengewinnerin Andreas Rothfuss und die Bezirks-Behindertenbeauftragte Karin Renner, sangen.

Ein Jahr nach der gelungenen Aufführung von „Die Zauberpizza“ zog die Musicalgruppe des Lebenshilfe-Bereiches „Offene Hilfen“ mit ihren drei Betreuerinnen, den Erzieherinnen Alexandra Sahlender (Königsberg) und Susanne Zweier (Trossenfurt) sowie Kinderpflegerin Katharina Weidinger (Haßfurt), bei der Aufführung im Aulasaal der Haßfurter Waldorfschule erneut alle Register ihres Könnens. Bei „Lorenas Augen“ spielten zwischenmenschliche Probleme eine große Rolle. Ebenso unterschiedliche Klischees mit Konfliktpotenzialen des alltäglichen Zusammenlebens verschiedener menschlicher Voraussetzungen und Interessen. Fußballfan Maik aus Wustviel jedenfalls drückte seinen Ärger über den Schiedsrichter, der einen vermeintlichen Elfmeter für seine Mannschaft nicht gab, lautstark mit wüsten Tier-Beschimpfungen aus: „Dämlicher Ochse, blinder Esel, blöder Affe“, schrie er vom Spielfeldrand aus. Und Theresa Dietz (Bundorf), die ihn besänftigen wollte, bezeichnete er als „blöde Kuh“. Wie gut, dass sie ihm die Zauberkuh „Lorena“ mit ihren magischen Augen vorstellte. „Wenn ich mal wütend bin, dann schaue ich in Lorenas Augen und schon bin ich wieder froh. Ja, die kann nämlich zaubern, mit ihren Augen“, schwärmte Theresa. Nach vielen weiteren Gesprächen mit anderen Menschen wurde Maik dann bewusst, dass Tiere gute Freunde sein können. Von wegen dämlicher Ochse, blinder Esel, blöde Kuh oder dummer Hund. Der jugendliche Fußballfan erfuhr zudem, dass manchmal schon kleine Schritte ausreichen, um neue Freunde zu finden. Und wenn bei einem Wutanfall kein Zaubertier in der Nähe ist? „Du armer Maik, ach Gottchen, da reicht auch ein Maskottchen“, sang Elena Vogel (Wonfurt) und verwies auf das Stofftier „Ernie“. „Weil so ein Stofftier Tag und Nacht niemals einen Kummer macht“, fügte Luisa Krauser (Holzhausen) hinzu.

Im Vergleich zu 2013 handelte es sich bei „Lorenas Augen“ indes um ein echtes inklusives Musical „vom Zauber einer liebevollen Geisteshaltung aller Wesen zueinander“, wie der Unfindener Liedermacher und Chorleiter Martin Scherer betonte. Er kümmerte sich erneut perfekt um die musikalische Gesamtleitung sowie die Szenenabläufe mit seinen nachdenklichen, aber auch witzigen Dialogen. Der 56-Jährige komponierte zudem wieder viele Ohrwürmer, unter anderem „Ernie“, „Oma Fenzi hat ´nen Hund“ oder „viele kleine Schritte“. Maik, Theresa, Elena, Luisa, Marcel Müller (Wustviel), Tim Schanz (Augsfeld), Lukas Kümmel (Sand) sowie Katharina Veith (Haßfurt) und Thomas Reitz (Ebelsbach), alle bei den „Offenen Hilfen“, wurden jedenfalls von Julius Weidinger (Haßfurt), von der 14-jährigen Milena Bornkessel (Königsberg) und der vier Jahre älteren Christina Diem aus dem Stadtteil Junkersdorf tatkräftig unterstützt. Beide Mädchen singen im „Projektchor“ von Martin Scherer und sagten spontan zu, bei „Lorenas Augen“ mitzuwirken. „Ich finde es einfach cool“, betonte Christina, die vor wenigen Wochen ihr Abitur ablegte und nun erst einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Lebenshilfe in Schweinfurt absolvieren will, bereits während der Proben. Nicht nur, „dass behinderte und nicht behinderte Menschen einfach gleichberechtigt behandelt und gleichmäßig einbezogen werden. Einfach, dass wir zusammenarbeiten.“ Sie war auch deshalb sehr angetan, weil in dem Musical „jeder seine Stärken einbringen“ konnte. Zu guter Letzt würden „Toleranz und Teamfähigkeit gestärkt“. Das Projekt bezeichnete die 18-Jährige als „perfekte Inklusion.“ Ebenso freute sich Theresa Dietz, die schon bei „Die Zauberpizza“ aktiv war, sehr über ihre zweite Schauspiel- und Sängerrolle. „Mir gefällt es sehr gut“, strahlte sie. Für das Mädchen, welche das Förderzentrum und die Tagesstätte der Lebenshilfe Haßberge in Sylbach besucht, war „Lorenas Augen“ wieder ein echter Volltreffer. Würde sie beim nächsten Stück wieder mitmachen? „Jaaaaa“, lautete ihre pfeilschnelle Antwort. Zu guter Letzt trug Petra Schlosser zum perfekten Gelingen bei. Die Pianistin, Musikpädagogin und Sängerin, ebenfalls Mitglied im „Projektchor“, begleitete die Sänger am Klavier – natürlich ehrenamtlich.

Neben den restlichen Besuchern in der Waldorfschule zeigte sich auch Andrea Rothfuss, das „junge Gesicht für Inklusion“ anlässlich einer einwöchigen Sommertour der „Aktion Mensch“, die das Musicalprojekt mit 3600 Euro finanziell unterstützt, sehr angetan von der Leistung der Schauspieler und Sänger. „Wow. Mich hat es richtig vom Stuhl gerissen“, lobte die 25-jährige Skiläuferin aus Loßburg/Schwarzwald, der seit ihrer Geburt die linke Hand und ein Teil des Unterarms fehlen. Für die Musicalgruppe der „Offenen Hilfen“ hatte die Gold- (Slalom) und zweifache Silbermedaillengewinnerin (Riesenslalom und Super-Kombination) bei den Paralympics in Sochi deshalb eine goldige Überraschung mit im Reisegepäck: die Beteiligten bekamen eine Goldmedaille von ihr umgehängt. Und auch, wenn es keine echten waren, durften sich alle als „Inklusions“-Sieger eines tollen Abends freuen.

 

Stichwort: Förderung der Aktion Mensch

In den letzten elf Jahren bezuschusste die 1964 gegründete „Aktion Mensch e. V.“ im Landkreis Haßberge bereits 27 Projekte mit 900 000 Euro, davon sechs Projekte in Haßfurt mit 300 000 Euro. Finanziert wurden Beratungsstellen ebenso wie Filmfestivals, kulturelle Projekte für Jugendliche oder der Umbau von sozialen Einrichtungen. Im Mittelpunkt des Aktion Mensch-Förderspektrums steht die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Seit ihrer Gründung vor 50 Jahren hat die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland mehr als 3,5 Milliarden Euro an soziale Projekte weitergegeben. Möglich mach(t)en dies rund 4,6 Millionen Loskäufer.

 

 

Wie finden sie es, wenn junge Menschen mit Behinderung ein eigenes Musical auf die Bühne bringen?

Andrea Rothfuss: „Ich finde es sehr cool. Ich hätte nicht das schauspielerische Talent, um auf der Bühne zu stehen. Ich bewundere es einfach. Ich wäre vermutlich mehr aufgeregt als beim Skifahren.“

 

„Lorenas Augen“ ist ein inklusives Musical. Was bedeutet für sie Inklusion?

Andreas Rothfuss: „Es ist sehr wichtig. Ich bin schon sehr inklusiv aufgewachsen, doch in meiner Kindheit hat niemand dieses Wort gebraucht. Da war es völlig normal, dass ich in einem normalen Sportverein gehe, mit anderen Kindern Sport mache. Nachdem ich einige Mal dort war, war es für alle völlig normal: das ist die Andrea, die hat keine Hand und die kann trotzdem alles machen.“

 

Wo kann aus ihrer Sicht Inklusion am Besten gelingen?

Andrea Rothfuss: „Ich denke vor allem im ganzen Freizeitsektor. Im Sport oder im künstlerischen Bereich wie etwa beim Malen, in einem Chor oder bei einem Musical. Da kann und darf jeder so sein, wie er ist. Man trifft dort einfach Freunde oder andere Leute, die die gleichen Interessen haben, wie man selbst. Das schweißt meiner Meinung nach zusammen und die Distanz, die oftmals noch im Alltag herrscht, wird überwunden.“

 

Sollte Inklusion um jeden Preis stattfinden?

Andrea Rothfuss: „Inklusion kann nicht erzwungen werden. Natürlich leben wir die Inklusion vor und versuchen sie voranzutreiben. Aber es gibt halt noch Menschen, die sich ein bisschen dagegen sträuben. Die können nicht gezwungen werden. Es sollte ihnen langsam klargemacht werden: Hey, das ist nicht schlimm. Das sind Menschen wie du und ich. Das ist völlig normal. Man muss dem ganzen etwas Zeit und Raum geben, in immer mehr Bereichen vorantreiben und vorleben. Dann man auch die Gesellschaft als ganzes dafür öffnen.“